„Männer, die Frauen hassen“: Über Inhalte von Thrillern


[Triggerwarnung: Gewalt gegen Frauen & Vergewaltigung]

Ich lese gerne Thriller. Die Spannung, die eine stundenlang an das Buch fesselt, mit glühenden Wangen und leuchtenden Augen. Ausgeklügelte Plots, clevere Sprüche, waghalsige Rettungsaktionen, subtile Gefühle – all das macht es für mich zu einer schönen Freizeitbeschäftigung. Ich lese zeitweise gar nicht viel, dafür bleibt mir ein guter Schmöker lange im Kopf. Wenn ich mir jedoch anschaue, was themenmäßig so verarbeitet wird, vergeht mir die Lust am Thrillerlesen. Meine Streifzüge durch Bahnhofsbuchhandlungen und Beschäftigung mit der Buchbranche hinterließen bei mir den Eindruck, dass es nur eine einzige Ausgangshandlung gibt: Eine schöne, junge Frau wurde vergewaltigt, grausam zugerichtet und ermordet. Dies geschieht meist bevor die Handlung des Romans überhaupt beginnt. Dazu dreht sich die Handlung oft darum, dass weitere ähnliche  Morde geschehen, nämlich wenn es mal wieder um einen (männlichen) Serienkiller geht. Nun ist es kein Geheimnis, dass Unterhaltungsliteratur nicht die originellste ist. Ist ja auch gar nicht Sinn und Zweck dieses Genres. Mich beschäftigt jedoch nicht nur, dass immer das Gleiche geschieht, sondern was da geschieht. Der schwedische Titel von Stieg Larssons „Verblendung“ fasst es ganz gut zusammen: „Männer, die Frauen hassen“.

Um der Sache auf den Grund zu gehen, habe ich eine unwissenschaftliche kleine Untersuchung gestartet. Dafür habe ich in den Kurzbeschreibungen der Titel in zwei Thriller-Bestsellerlisten nach den Schlagworten Frau, jung, ermordet, gefoltert/gequält, vergewaltigt/geschändet gesucht. Was soll ich sagen? Ich bin fündig geworden. In der Liste Weltbild Bestseller 1-10 am 17.02.2013 passten 5 von 10 Titeln auf mindestens 3 meiner Kriterien. Bei den Amazon Top 25 Krimi & Thriller 2012 waren es 8 von 25 Titeln. Bei den übrigen Büchern handelte es sich meist um Politthriller, in denen sowohl Opfer als auch Täter meist männlich sind. Oder es gibt Opfer, die männlich und weder als „jung“ noch als „schön“ bezeichnet werden.

Über die Gründe für diese Konzentration kann ich nur spekulieren. In den Kommentaren könnt ihr gerne eure Vermutungen äußern. Wird hier der Vergewaltigungs-Mythos von der Frau im kurzen Rock und dem psychopathischen Triebtäter zementiert? Ist es Voyeurismus, Befriedigung an grausamen und sexualisierten Details? Katharsis? Die Verarbeitung tatsächlicher Zustände? In jedem Fall trägt dieses Überangebot an fiktionalen Beschreibungen von sexualisierter Gewalt zu einer Inflation ebendieser Beschreibungen bei – das heißt: wir gewöhnen uns zwangsläufig daran – und ist damit meiner Einschätzung nach Teil von rape culture.

Ganz zu schweigen von den wie selbstverständlich & unreflektiert verwendeten Attributen jung, schön, weiblich. Das würde noch Stoff für einen ganzen weiteren Artikel bieten.

Hier ergänzend ein paar Thriller, die ich gelesen habe, und meine Einschätzung des Inhalts:

Jilliane Hoffman, Cupido – Einer der besten Thriller, die ich gelesen habe. Hauptfigur ist eine Anwältin, die vergewaltigt wurde und sich damit auseinandersetzt (und den Täter jagt). Kriterien: erfüllt.
Jilliane Hoffman, Mädchenfänger – Ihr Erstling (s.o.) hat sich so gut verkauft, dass sie das Thema Gewalt gegen Frauen hier wieder aufgreift. Funktioniert hier jedoch nicht gut. Kriterien: erfüllt.
Jo Nesbø, Schneemann – Es geht um… einen Mann, der Frauen umbringt. Kriterien: erfüllt.
Dies waren die Bücher, aufgrund derer ich meine Recherche gestartet habe.

Und hier die Titel, die mir als Alternativen eingefallen sind. Beim näheren Hinsehen jedoch wieder die gleichen Themen behandeln.

Stieg Larsson, Verblendung –  starke Frauenfigur, Aufhänger und Thema sind jedoch wieder Gewalt gegen Frauen
Cornelia Read, Valley of Ashes – wundervolle Heldin, die einem Brandstifter auf den Fersen ist. Jedoch häuslicher psychischer Gewalt ausgesetzt ist, was beim Lesen wehtut
Alix Bosco, Cut & Run – überzeugende Frauenfigur, die jedoch so viel häusliche Gewalt sieht, dass sie einen Zusammenbruch erleidet

Ich bin dankbar für eure Empfehlungen, wenn ihr Bücher wisst, die höchstens eines der o.g. Kriterien erfüllen!

Hier meine Recherche-Ergebnisse:

Weltbild Bestseller 1-10 am 17.02.2013:
Andreas Franz, Tödlicher Absturz – „Eine junge Frau, die brutal misshandelt wird“
Andreas Franz, Unsichtbare Spuren – „Am Straßenrand steht die siebzehnjährige Sabine. Ein Wagen hält an. Kurz darauf ist das Mädchen tot…“
Jussi Adler-Olsen, Das Washington-Dekret – „Durch den kaltblütigen Mord an seiner Ehefrau und dem ungeborenen Kind“
Hilary Norman, Blankes Entsetzen – „Doch für manche Frauen kommt jede Hilfe zu spät. So ist es im Falle von Lynne Bolsover, deren Leiche in einem Schrebergarten gefunden wird“
Neil White, Cold Kill – „Er hat sie gefesselt, er hat sie gequält, und dann hat er sie grausam getötet. Innerhalb weniger Wochen hat die Ermittlerin Laura McGanity mit zwei bestialischen Morden an jungen Frauen zu tun.“
–> 5 von 10

Amazon Top 25 Krimi & Thriller 2012
Jussi Adler-Olsen, Verachtung – „Eine junge Frau ohne jede Chance auf ein selbstbestimmtes Leben, von Menschen grausam misshandelt, wird zwangssterilisiert“
Nele Neuhaus, Böser Wolf – „An einem heißen Tag im Juni wird die Leiche einer 16-Jährigen aus dem Main bei Eddersheim geborgen. Sie wurde misshandelt und ermordet“
Simon Beckett, Verweseung – „Das Zimmer ist ein Trümmerhaufen, die junge Frau grausam zugerichtet.“
Charlotte Link, Der Beobachter – „Die Opfer: alleinstehende Frauen. Auf eine rachsüchtige, sadistische Weise umgebracht.“
Andreas Franz, Todesmelodie – „In einem WG-Zimmer wird eine Studentin aufgefunden. Sie wurde grausam gequält und schließlich getötet“
Nele Neuhaus, Eine unbeliebte Frau – „Die schöne junge Frau, die tot am Fuß eines Aussichtsturms im Taunus liegt, ist viel zu unversehrt, um an den Folgen eines Sturzes gestorben zu sein“
Nele Neuhaus, Schneewittchen muss sterben – „Vor vielen Jahren verschwanden in dem kleinen Taunusort Altenhain zwei (17-jährige) Mädchen.“ (Spoiler: Schneewittchen stirbt.)
Chris Carter, Der Kruzifix-Killer – „Die Leiche einer wunderschönen Frau wird gefunden, zu Tode gequält und bestialisch verstümmelt.“
–> 8 von 25


4 Antworten zu “„Männer, die Frauen hassen“: Über Inhalte von Thrillern”

  1. Ja, auch von mir ein Dankeschön für den Hinweis.
    Aufgefallen ist es mir zwar auch schon, weil ich viel lese, es hat mich auch schon das ein oder andere Mal stutzig gemacht. Ich bin diesem Gedanken jedoch noch nicht so detailliert gefolgt, wie du es hier versucht hast. Deutlicher geworden ist es, als ich die Verfilmung von N.Neuhaus ‚Schneewittchen…‘ im Fernsehen sah, da wurde mir klarer, dass zwischen dem, was ich des Öfteren auch mal schnell überlese (weil bekannt oder es mich anwidert, weil zu brutal) und dem Ansehen desselben ein Unterschied besteht (es sei denn, ich schaue weg) – die Konfrontation war heftiger, deutlicher. Diese Art von ‚Unterhaltung‘ brauche ich wirklich nicht und ich werde in Zukunft wachsamer sein.
    Als meine Frau mir sagte, um was es in dem ersten Band von Adler Olsen ‚Erbarmen‘ geht, habe ich es wieder weggelegt. Ich wollte nicht schon wieder über Gewalt gegen Frauen lesen. Meiner Intuition kann ich manchmal doch noch vertrauen.

  2. Reblogged this on Blog-Inkarnation und kommentierte:
    „In jedem Fall trägt dieses Überangebot an fiktionalen Beschreibungen von sexualisierter Gewalt zu einer Inflation ebendieser Beschreibungen bei – das heißt: wir gewöhnen uns zwangsläufig daran – und ist damit meiner Einschätzung nach Teil von rape culture.“ schreibt die Autorin dieses blogs. Ich bin dankbar für ihren Hinweis und den Anstoß, über dieses Phänomen und seine Folgen nachzudenken. Es ist mir erst letztens beim Ansehen der Verfilmung von Nele Neuhaus ‚Schneewittchen..‘ aufgefallen. Werde mal genauer darauf achten, wie oft es vorkommt und was es mit mir macht. Danke queerdenke_n

  3. Lotte und Soeren Hammer: Schweinehunde.
    Dänischer Krimi über Selbstjustiz. Kinderschänder werden brutal hingerichtet und selbst bei der Polizei gibt es Sympathisanten, die die Ermittlungen gegen die Täter boykottieren.

  4. Danke für den Artikel. Mir ging es schon einige Male ähnlich.

    Als Alternativen fallen mir spontan Hakan Nesser („Mann ohne Hund“), Frank Schätzing und v.a. Juli Zeh ein. Letztere mag ich ja ziemlich…Schätzing lässt in „Limit“ tatsächlich ein lesbisches Paar auftreten, ohne darauf herumzureiten. Allerdings lässt er auch einige üble Alltagsrassimen vom Stapel, die mir zwischenzeitlich das Weiterlesen verleiden wollten.
    Mal eben ein Buch für zwischendurch, sprich unterhaltsam, unanstrengend und auch noch spannend, zu finden ist nicht gerade einfach (sie nannten es: Das Bahnhofsbuchhandlungsdilemma). Und möglich auch nur, wenn ich dann den Wust an heteronormativen Plots/Figuren/Ausdrücken/younameit ausblende.

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