LGBTQ* in Kinder- und Jugendbüchern


UPDATE NOV. 2020: Da dieser Beitrag viel Traffic bekommt, möchte ich meinen Leser_innen folgenden Tipp geben: Ich habe dieses Jahr einen Podcast-Beitrag zu queer Repräsentation in Bilderbüchern veröffentlicht, hier ist der Link zum Anhören auf Spotify und hier ist der Link zu den Shownotes und Empfehlungslisten!

Viele queere Buchempfehlungen (auch Jugendbücher und Bücher für junge Erwachsene) gibt es außerdem in der diesjährigen #Queerbookchallenge von @bibliophilistin auf Instagram zu entdecken. Viel Spaß beim Lesen! Ende des Updates.


Hier ein paar Gedanken zu Büchern, die ich entweder selbst als Kind gelesen habe oder auf die ich bei der Recherche für meine Bachelorarbeit gestoßen bin. Die Frage war, ob es auf deutsch Kinderbücher gibt, die als queer bezeichnet werden könnten, und wie diese entstehen, Verbreitung finden usw. Im Folgenden geht es nicht so sehr um die Ergebnisse von der Arbeit, sondern mehr um meine Gedanken drumherum und persönlichen Erfahrungen lesbischen, bisexuellen, schwulen oder genderbending Identifikationsfiguren. Ich freue mich über eure eigenen Erinnerungen und Erfahrungen in den Comments!

Kinderbuch

Zum Beispiel hatte ich zu Recherchezwecken „Unsa Haus“ bestellt, in dem Kinder ziemlich toll als unterschiedliche Menschen ohne Gender Performance-Zwänge dargestellt werden, und habe beim Lesen ziemlich viel geweint. So viel „Sein dürfen wie man ist“ ist eine Utopie. Aber dadurch, dass sie von den Autor_innen gezeigt wird, wird sie denkbar. Ich weiß nicht, ob ich als Kind ein Fan von dem Buch gewesen wäre. Ob ich verstanden hätte, worum es geht. Ich erinnere mich, dass meine Eltern mir gerne das emanzipatorische Kinderbuch „Mutter, Vater, Kind“ von Kirsten Boie vorlasen und mir nichts besonderes daran auffiel, sondern ich es nur etwas seltsam fand. Das kann hier ähnlich sein. Anscheinend war die Resonanz auf „Unsa Haus“ nach Erscheinen aber sehr positiv. Ich kann nur sagen, dass ich mit meinen 23 Jahren dem Buch sehr viel abgewinnen konnte.

Jugendbücher

Was ich auch rausgefunden habe, war, dass es tatsächlich extrem wenige Kinder-/ Jugendbücher mit nicht-heterosexuellen Protagonistinnen als Identifikationsfiguren auf dem deutschsprachigen Buchmarkt gibt (Coming-Out-Literatur für Teens, die bereits genau wissen, wonach sie suchen, einmal außen vor gelassen). Mein Gefühl hat mich damals also nicht getrügt. Als ich vielleicht elf war, las ich mit einer Freundin das Buch „Die wilden Hühner und die Liebe“ von Cornelia Funke. Genauer gesagt las sie es mir an einem Abend vor und trotz dem Gefühl, dass wir schon ein bisschen zu alt für dieses Buch waren, kicherten wir viel und freuten uns so, wie ich mich bei allen „Wilde Hühner“-Büchern über mein Leseerlebnis gefreut habe. In diesem 5. Band verliebt sich eine der Protagonistinnen, Wilma, in ein Mädchen aus ihrer Stufe und fängt mit ihr eine Beziehung an. Jahrelang trug ich den folgenden Dialog mit mir herum wie einen Schatz (aus der Erinnerung zitiert):

Trude: „Vielleicht kann man ja etwas tun, damit es aufhört?“
Wilma: „Aber ich will gar nicht, dass es aufhört. Dazu ist es viel zu schön.“

Und nun, was ist daran traurig? Schlicht, so fand Kathrin Kadasch heraus (Kap.5.2.2.4.), dass es die einzige Stelle im ganzen Buch ist, in der homosexuelle Liebe als etwas Positives erscheint. Vielleicht sagt es etwas aus, dass ich diese Seltenheit nicht hinterfragt habe, ich kannte schließlich nichts anderes.

Auch die Fantasytrilogie über den Otori-Clan hatte einen so minimalen gay-content, dass ich mich zwar einerseits noch daran erinnern kann, andererseits aber die besagte Stelle (ein Satz? Eine Seite?) beim ersten mal komplett überlesen habe und immer noch nicht sicher bin, ob sie überhaupt existierte. Die männliche Hauptperson, die in eine ziemlich langweilige Liebesgeschichte mit einer Frau verstrickt ist (ich hab die Bücher vor allem wegen den stilvollen Beschreibungen eines Ninja-lastigen fiktiven Japans gelesen), hat einen besten Freund, den er eines nachts in einer einsamen Berghütte „tröstet“ – die Szene ist so indirekt geschrieben, dass ich mich damals gefragt habe, ob sie überhaupt Absicht war. Wenn sich jemand erinnert, freue ich mich über Comments dazu!

Verliebte Mädchen

Auf dem blog Die Töchter Regalias erfuhr ich in einem Artikel von @nightlibrarian von „Das Geburtstagskind“ von Rose Lagercrantz:

Ninni wird in einer Woche sieben. Und sie will Ebba heiraten oder zumindest ihre Freundin werden

Also fragte ich in der nächsten Buchhandlung nach dem Titel und bekam eine begeisterte Antwort, ein tolles Buch sei das, aber nach meiner gezielten Frage nach „Liebe zwischen Mädchen*“-Content: Es habe mit einer Liebesbeziehung der beiden Protagonistinnen nichts zu tun – es sei eine intensive Freundschaft, und kleine Kinder möchten oft ihre beste Freundin oder ihren besten Freund heiraten. Mein erster Gedanke war aha, schade, aber der spätere war: Hallo, schon mal was von (heterosexueller….?!) Sandkastenliebe gehört? Meine Vermutung ist, dass das was mit der Negierung von lesBischer Liebe als romantisch und/oder sexuell zu tun hat und dass Verliebtsein unter Mädchen* stets als Freundschaft ausgelegt / miss_verstanden wird. Was denkt ihr dazu?

Ein zweites Beispiel hierfür ist ein ziemlich schönes vergriffenes Bilderbuch, „Das Wasser der Wildgans“ von Arnica Esterl. Die „Bücherliste zu unterschiedlichen Lebensrealitäten“ (PDF S. 21) von GLADT e.V. taggt es mit „Geschlechtersensibilität“ und „gleichgeschlechtliche Liebe“ und beschreibt:

Eine junge Bauerstochter muss, um die Dürre in ihrem Land zu bekämpfen, die Tochter des Drachenkönigs finden und mit ihr zusammen das Böse besiegen. Zum Schluss leben die beiden glücklich bis an ihr Ende zusammen.

Die Geschichte lässt sich auch als Freundschaft lesen. Aber eben mindestens so gut als lesBische Liebe, und die Möglichkeit dieser Sichtweise und ihre Benennung durch GLADT sind ein kleiner Trost inmitten des ganzen Verschweigens.

Aus "Das Wasser der Wildgans"
Aus „Das Wasser der Wildgans“

5 Antworten zu “LGBTQ* in Kinder- und Jugendbüchern”

  1. Danke für die interessante Übersicht! Ich glaube, dass einerseits lesbische Charaktere als heterosexuell gelesen werden, glaube aber auch, dass Autor_innen, die queere Beziehungen/Liebe/Lebensweisen oft zensiert und vernebelt werden (müssen). Mir fallen mehrere Beispiele ein, bei denen queere Figuren bei Verfilmungen (z.B. grüne Tomaten) oder Übersetzungen (z.B. Sailor Moon) in die cis/heteronorm gequetscht wurden und kann mir vorstellen, dass das bei der Veröffentlichung von Kinder- und Jugendbüchern ähnlich passiert (z.B. im Lektorat).
    Über deine Ansicht zu “Die wilden Hühner und die Liebe” wundere ich mich, ich habe das Buch als lesbisches auch etwa elfjähriges Mädchen recht empowernd wahrgenommen, schließlich wird beschrieben, dass die Wilma und Leonie viel Zeit im Wohnwagen miteinander verbringen, gemeinsam Theater spielen, Leonie sehr hübsch ist (“obwohl” nicht heteronormativ)… Und auch wie kurz beschrieben wird, wie die Freundinnen Wilma bei ihrem Liebeskummer nach der Trennung von Leonie unterstützen fand ich schön, zwar ist Liebeskummer ein negativer Aspekt einer Beziehung, aber ich fand es schön zu sehen, dass Liebeskummer durch einem Mädchen genauso eine Freundschaft zusammenschweißen kann wie Liebeskummer von einem Jungen. Ich kann mir noch nicht ganz vorstellen, wie die Beziehung negativ dargstellt wird? Ich meine, es werden negative Reaktionen auf die Beziehung dargestellt, aber so wichtig ich es auch finde, Bücher wie “Unsa Haus” zu haben, in denen queere Beziehungen unkommentiert stehen zu lassen, finde ich es auch wichtig, Diskriminierung auch in Büchern darzustellen, denn die ist eben leider noch ein Teil der Lebenswirklichkeit vieler Menschen.

    • Vielen Dank für Deinen Kommentar!
      Ich antworte mal zunächst auf die „Wilde Hühner“-Frage: Kadasch bezieht sich tatsächlich auf die negativen Reaktionen aus Wilmas Umfeld: den Heterosexismus, das Unverständnis und wie problembehaftet die lesbische Beziehung erscheint. Aber ich schreibe ja auch, dass die Beziehung für mich trotzdem ein Schatz war, also ein unglaublich wertvolles Leseerlebnis, und es mir damals ziemlich egal war, wie alle anderen Hühner damit umgegangen sind – ich war einfach unendlich begeistert darüber, dass Wilma und Leonie zusammen waren. Ein Kritikpunkt von Kadasch war, dass wir die Beziehung und ihre schönen Seiten nicht richtig mitbekommen, da Sprotte als Ich-Erzählerin ja nicht dabei ist und immer unangenehm berührt ist, wenn es um die lesbische Beziehung geht. Ich glaube ehrlich gesagt, dass ich mir trotzdem zwischen den Zeilen die Beziehung vorgestellt hab, wie du anscheinend auch – das Theaterspielen, die gemeinsam verbrachte Zeit etc.
      Ich finde Deinen Punkt wichtig, dass „Die Wilden Hühner“ anders als „Unsa Haus“ keine Utopie darstellt und vieles im Umfeld der Protagonist_innen problematisch ist, aber dadurch vielleicht auch das Hineinfühlen leichter fällt.

    • Zu Deinem ersten Teil: Da habe ich noch gar nicht viel drüber nachgedacht, aber je nach Lektorat ist es wahrscheinlich wirklich nicht einfach, eine lesBische Liebe einzubauen. Vielleicht müsste der Wunsch, das zu schreiben, erklärt oder gerechtfertigt werden, und ich kann mir vorstellen, dass das für viele Menschen einiges an Mumm und starkem Willen erfordert und man in einer verletzlichen Position ist. Drüben im kleinerdrei-blog las ich außerdem grade eine Bestätigung von Deiner Vermutung:
      „Das Problem [mit LGBT-Beziehungen in traditionellen Medien] ist, dass bei Mainstream-Produktionen eine Unzahl von Leuten einer Entscheidung zustimmen müssen, wenn es beispielsweise um eine Fernsehserie oder einen Film geht. Jemand hat eine Idee, sei es ein_e Autor_in oder ein_e Darsteller_in, aber auf dem Weg durch die Hierarchien bleibt immer weniger von ihr übrig. Der grosse Vorteil, den wir [vom Podcast „Welcome to Nightvale“] haben, ist unsere Unabhängigkeit. Und wenn wir eine schwule Beziehung in der Show haben wollen die real, erwachsen, reif und nicht nur ein Comedy-Element ist, dann machen wir das einfach! Wir schreiben und spielen von einer unabhängigen Position aus, ohne uns von Wirtschaftlichkeit oder Zielgruppenbindung treiben lassen zu müssen.“
      (http://kleinerdrei.org/2014/10/cecil-baldwin/)
      Klar, Kinderbuchleser_innen sind nicht „erwachsen“, aber es kann sich mMn auch auf ein „ernstnehmen“ dieser Identitäten beziehen.

Hinterlasse einen Kommentar